Übernachten in ehrwürdigen Gemäuern

 

Die Villenkolonie in Neumühle

Bis etwa 1910 entstand im Knottengrund rechts der Elster eine einzigartige Villenkolonie, welche ursprünglich zu Waltersdorf im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach gehörte.

Zur Villenkolonie im Knottengrund gehören folgende bis heute erhaltene und teilweise aufwendig restaurierte Villen: 1. Villa Waldesruh, Villa Elisabeth, Villa Else, Villa Waldfrieden, Villa Elsterblick, Café Rohleder und die Villa Hildegard. 

Das einstige Kurhotel „Villa Waldesruh“ wurde im Jahr 1865 von Maurer Johann Heinrich Meyer erbaut. Mit Fertigstellung dieser erhielt er vom Waltersdorfer Bürgermeister die Erlaubnis eine Schankwirtschaft zu betreiben. Das Geschäft florierte, sogar ein Tanzsaal kam hinzu. Und trotzdem verließ er Neumühle, um nach Amerika auszuwandern. Familie Meyer hatte die Heimat jedoch nie vergessen. Jahre später schickte sein Sohn einen Scheck über 20000 Mark nach Walterdorf. Die Summe wurde vom Gemeinderat als „Louis - Meyer Stiftung“ beim Spar- und Darlehenskassenverein angelegt und die Zinsen für Bedürftige verwendet.

Im Leipziger Tageblatt und der Handelszeitung aus dem Jahr 1908 wirbt die nachfolgende Besitzerin der Villa Waldesruh, Gertrud Berg, mit einem Haushaltungspensionat und Erholungsheim für Kinder. Das „Kurhotel“ erlebte die Blüte der Goldenen 20er Jahre, wurde 1930 aber geschlossen. Es folgten mehrere Besitzerwechsel und aus dem Kurhotel wurde ein Mehrfamilienhaus. Auch der damalige Fabrikant aus der Lehnamühle, Alexander Wilisch zählte zu den Besitzern, wurde aber nach dem Krieg enteignet und das ehrwürdige Gebäude fiel an die Gemeinde. Heute bietet es sechs Wohnungen an und befindet sich wieder in Privatbesitz.

Südlich schließen sich die ehemalige Villa Elisabeth, Villa Else und die Villa Waldfrieden an.

Bauherr der Villa Else war der Neumühler Zahnarzt Paul Vogel, der das Wohnhaus mit Gästezimmern im Jahr 1912 erbauen ließ. Seine Praxis befand sich im eben beschriebenen Kurhotel.

Bis zu sechs Familien fanden in der Villa Else eine Unterkunft mit kleinen Zimmern und WC auf dem Gang. Die Familie Nikolaus zählt zu den längsten Besitzern, wohnte diese doch von 1949 bis ins Jahr 2005 in der Villa. Zwei Jahre dauerte es, bis sie neue Liebhaber fand. Sehr aufwendig und mit Liebe zum Detail sanierte Familie Dörfler Dach, Fassaden und Fachwerk der Villa. Nach historischem Vorbild wurden auch die Balkone angebracht. Was man erhalten konnte, wurde erhalten, so z.B. die Originaltüren und deren Beschläge.

Etwas älter, Baujahr 1904, ist die Nachbarin der Villa Else, die sogenannte Villa Waldfrieden. Seit über 100 Jahren befindet sie sich im Familienbesitz. Die in Greiz lehrende Pädagogin Elfriede Schneider kaufte die Villa von Louis Diezel ab. Gemeinsam mit ihrer Schwester Adele bewirtschaftete sie die Pension, die acht Gästezimmer anbot. 1937 holten sie ihre Großnichte Lieselotte Böhm aus Frauenwald im Thüringer Wald ins Vogtland. Hilfe bei der Hauswirtschaft und Gästebetreuung zählten zu ihren Aufgaben. Louis Diezel gehörte zu dieser Zeit die Gaststätte „Weidmannsheil“, die kurz nach der Wende abgerissen wurde. Hier konnten die Feriengäste ihre Mahlzeiten einnehmen. Doch mit Beginn des 2. Weltkrieges wurde aus der schönen Sommerfrische eine Flüchtlingsunterkunft. Kurz nach Kriegsende verstarben die Schneider-Schwestern, doch Lieselotte fand bald ihr Glück.  In dieser Zeit kam ihr späterer Ehemann Rudolf aus englischer Gefangenschaft zurück in die Heimat. Das Ja-Wort gaben sich die Beiden im Jahr 1949. Bis zu ihrem Tod im Jahr 2016 war die Villa Waldfrieden ihr Zuhause. Der Charakter des Hauses ist bis heute unverändert. Lediglich einige Fenster wurden zugemauert und zwei Balkone aus der Erbauungszeit waren dem Verfall preisgegeben.

Zu den ältesten Häusern im Knottengrund gehört ebenso die Villa Elsterblick, direkt gegenüber. Auf einer historischen Postkarte um 1900 ist ein eher schmuckloses Wohnhaus zu sehen. Doch die idyllische Lage und der einzigartige Blick ins Elstertal regte die wohlhabende Leipzigerin Marie Uhse an, das kastenförmige Gebäude in eine herrschaftliche Villa mit Gästebetrieb zu verwandeln. 1914 übernahmen die Großeltern unseres langjährigen Ortschronisten Edgar Schwarz die Villa.

Das Ehepaar Robert & Emma Schwarz bot den Touristen eine der modernsten Unterkünfte seiner Zeit. Eine hochmoderne Rufanlage, Zimmerservice per Klingelknopf und Gepäcktransfer zum Bahnhof zählte zu den Serviceleistungen der Gastgeber. Über die Jahre wurde der Innenbereich der Villa erneuert und modernisiert, Bäder und Toiletten in die Wohnungen verlegt.

Nach dem Tod von Edgar und Elfriede Schwarz änderten sich die Besitzverhältnisse im Jahr 2021. War die Renovierung der Villa Else soweit abgeschlossen, nahm sich Familie Dörfler nun auch der Bewahrung der Villa Elsterblick an. Seither wurden die Balkone aufwendig saniert und auch der Außenbereich unterliegt derzeitig einer umfangreichen Verwandlung.

Im selben Karree schließt sich das ehemalige Café Rohleder mit an. Da wo sich heute das ehemalige Gemeindeamt, die Zahnarztpraxis Fischer und der Kindergarten befinden, eröffnete Arno Rohleder im Jahr 1912 ein Wohnhaus mit Café, inklusive eigener Bäckerei und Konditorei. Auf einer historischen Postkarte wirbt der Betreiber mit folgender Beschreibung: „Erstklassiges Lokal – zwei Tanzdielen – schöner Konzertgarten – eigener großer Autopark – täglich frisches Gebäck – Gondelstation an der Elster. Ganze Omnibusse der Sächsischen Verkehrsbetriebe fuhren das Café Rohleder regelmäßig an. Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Café leider geschlossen. Lediglich die Bäckerei existierte noch bis ins Jahr 1960. Auch wenn das Gebäude schon bessere Zeiten erlebt hat und eines Investors bedarf, hat es seinen individuellen Charme behalten.

Die mit Abstand markanteste und anspruchsvollste Villa seiner Zeit aber war die Villa Hildegard. Läuft man vom Bahnhof auskommend über die Brücke und lässt sein Blick linkerhand über den Felsen schweifen, kann man sich die einstige Pracht kaum vorstellen. Das Sommerhaus wurde 1871 vom Reußischen Hofbäckermeister Robert Oettel im Stil des Gründerzeithistorismus erbaut.

Da sich sein geliebter Sohn aus Liebeskummer vom nahe gelegenen Felsen stürzte, verkaufte er wahrscheinlich kurze Zeit später das Anwesen. Den Namen „Hildegard“ erhielt die Villa vom Bahnhofswirt Max Otto, der um 1908 das Gebäude kaufte und nach seiner Frau benannte. Deshalb war sie auch unter den Namen „Villa Otto“ bekannt. Auf der Seite www.greiz-gruenderzeit.de von Herrn Dr. Gottfried Rudolph wird ausführlich über die Villa Hildegard berichtet. Unter anderem befasste sich Frank Reinhold in einer Bachelorarbeit mit der gartendenkmalpflegerischen Untersuchung dieses Landgutes. Hierbei geht hervor, dass wahrscheinlich Rudolph Reinecken, Schüler des bedeutenden Muskauer Gartenkünstlers Eduard Petzold, Gestalter der gartenkünstlerischen Anlage war. Einige Gestaltungselemente finden sich heute noch vor und erinnern an den einstigen Glanz, so z.B. der Laubengang im südlichen Teil der Anlage, Figuren aus dem Hause Villeroy & Boch oder eine Jugendstilrundbank. Zu den dendrologischen Besonderheiten zählen Tulpenbaum, Kanadische Hemlock oder Abendländischer Lebensbaum. Heute befindet es sich im Besitz der Familie von Julia Neumann, Tochter des Greizer Architekten Steinbach, der die Residenz im Jahr 1964 erwarb. Der charakteristische Turm wurde während des Umbaus in dieser Zeit aus Sicherheitsgründen abgerissen. Dieses botanische Kleinod stellt wahrlich einen Schatz im ehemaligen Luftkurort dar. Für 4 Mark pro Woche konnten Kurgäste zwischen Zimmer mit oder ohne Balkon, mit oder ohne Pension wählen.

Auch wenn Neumühle heute weit weniger Gäste begrüßt als vor 100 Jahren und aus Hotels und Gaststätten Wohnhäuser geworden sind, haben die Villen bis heute ihre individuelle Ausstrahlung bewahrt.

 

 

 

 

 

 

 

 

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